Kevelaer-Wallfahrtsgemeinschaft Essen‍-‍Byfang e.V.
   

Chronik des Wallfahrtsorts Kevelaer und der Byfanger Fußwallfahrt

Im Jahre 2012 feierte die Kevelaer Wallfahrtsgemeinschaft, Essen-Byfang, und damit die Pfarrei St. Josef, Essen Ruhrhalbinsel, ein Jubiläum ganz besonderer Art. Zum 175. Male pilgerten Byfanger zu Fuß zum Wallfahrtsort Kevelaer, um dort die Gottesmutter zu verehren. 

Schon zu den Anfängen der Byfanger Fußwallfahrt ist uns bekannt, dass sich nicht nur Byfanger alleine auf den Weg nach Kevelaer machten, sondern auch Pilger aus der Mutterpfarrei Niederwenigern und anderen benachbarten Ortschaften.

Die Marienverehrung war von Anfang an der wichtigste Grund für die Fußwallfahrt. Für viele Pilger ist dies noch heute ein wichtiger Grund zum mitpilgern. In den letzten Jahrzehnten gibt es auch viele andere Gründe für die Wallfahrt. Auf dem langen Weg kommen Pilger oft an körperlichen Grenzen. Gepilgert wird bei jedem Wetter, ob große Hitze, lang anhaltende Regenschauern oder Gewitterschauern. In der Gemeinschaft Grenzen erfahren und sich gemeinsam bestärken, um zum Ziel zu gelangen. Der heute noch gern gebetete Rosenkranz lädt viele Pilger zum meditieren unterwegs ein. An den einzelnen Stationen unterwegs in den Kirchen werden christliche Impulse vorgetragen, die auch zu anschließenden Gesprächen führen. Nicht zuletzt ist für viele auch das aktive mitwirken und mitgestalten der Fußwallwahrt wichtig, was die Zahl der vielen fleißigen Mithelfer/innen vor, während und nach der Prozession zeigt, sowohl bei der thematischen Gestaltung als auch bei der Organisation der Fußwallfahrt.

Wir wollen einmal den Versuch zu wagen, die Geschichte, die Absichten und interessante Vorkommnisse dieser traditionellen Wallfahrt aufzuzeigen. Die Schwierigkeit dabei liegt in der Art des zur Verfügung stehenden Materials, das einerseits recht lückenhaft und andererseits teilweise widersprüchlich ist.

Wichtige Grundlagen sind dabei ältere Quellen, die sich mit der Geschichte der Byfanger-Wallfahrt beschäftigen, wie etwa die Berichte der Kevelaer-Pilger Josef Ridder (1940), Fritz Elvenholl (1924), Heinrich Neurath (1907), Peter Hegh, Heinz und Nanni Worring und Anni Sonnenschein (2005) und die Kevelaerer Marienwallfahrtschronisten Peter Dohms und Dietmar Jansen (aus dem Buch Kevelaerer Marienwallfahrt 1642-1995, Rheinland Verlag, Köln 2002).

Die Kevelaerer Geschichte

1614, unmittelbar vor dem Dreißigjährigen Krieg, fiel das Herzogtum Kleve an das protestantische Kurbrandenburg. Mitten durch das heutige Stadtgebiet verlief eine neue Staatsgrenze. Kervenheim und Winnekendonk gehörten zum protestantischen Brandenburg und Kevelaer, Twisteden und Wetten gehörten zu den katholischen Niederlande. Im 30-jährigen Krieg zogen zunächst niederländische, dann spanische und kroatische Truppen durch Kevelaer. Die kroatischen Söldner stürmten am 1. August 1635 die Schanze in Kevelaer und töteten 100 Dorfbewohner. An dieses Ereignis erinnern noch heute die Kroatenstraße und das so genannte Kroatenkreuz in Kevelaer.

Die Wallfahrt im damaligen niederländischen Kevelaer begann noch während des 30-jährigen Krieges. Kevelaer war damals sehr stark von diesem Krieg betroffen. Der Geldener Händler Hendrik Busmann hörte 1641 an der Kreuzung der alten Handelsstraßen Amsterdam-Köln und Münster-Brüssel dreimal den geheimnisvollen Ausruf: „An dieser Stelle sollst du mir ein Kapellchen bauen!“ Ausgelöst durch diese Ereignisse fasste er den Beschluss, an dieser Stelle ein Kapellchen zu bauen. Nachdem seine Ehefrau Mechel bei Nacht ein großes, glänzendes Licht gesehen hatte, in dessen Mitte sich ein Heiligenhäuschen mit einem Andachtsbild befand, löste er sein Versprechen ein und baute trotz widriger Zeiten einen Bildstock in der Gestalt, wie ihn Mechel gesehen hatte, an dieselbe Stelle, wo er die Stimme zuvor vernommen hatte. Am 1. Juni 1642 weihte der Pfarrer von Kevelaer ein Bildstöckchen an der Wegkreuzung und setzte einen Kupferstich der Gottesmutter Maria "Consolatrix Affictorum" (Trösterin der Betrübten) von Luxemburg ein. Damit beginnt die Geschichte der Wallfahrt in Kevelaer. Verlässliche Auskunft hierzu gibt uns das von Hendrick Busmann 1647 auf der Synode zu Venlo niedergelegte Protokoll. Sofort nach der Einweihung 1642 kamen zu dem Bildstöckchen eine große Menge Menschen aus Geldern und anderen Ortschaften. Auch geschahen einige Wunder, welche besonders aufgezeichnet wurden.

Mit dem Ende der Herrschaft Napoleons wurde Kevelaer 1814/1815 durch die Entscheidungen auf dem Wiener Kongress preußisch.

Kirchliche Ablehnung der Prozessionen zu Beginn der Byfanger Fußwallfahrt

In den 1820er Jahren wurden Wallfahrten, vor allem aber Wallfahrten mit Übernachtungen, durch den Bischof von Münster und durch die preußische Herrschaft verboten. Dieses Verbot, welches die Kevelaerer zum wiederholten Male enorm traf, wurde erst um 1840 aufgehoben. Auch der Kölner Erzbischof Ferdinand August Graf von Spiegel untersagte am 12. Mai 1826 alle Wallfahrten nach Orten außerhalb der Erzdiözese Köln – damit auch die seit 1806 pilgernde Prozession von Werden nach Kevelaer. Auch die weltlichen Aufsichtsstellen wie der Oberpräsident der Provinz Jülich-Kleve-Berg stellten hohe Anforderungen für eine Durchführung von Prozessionen: Übernachtende Wallfahrten durften nur vom Ortspfarrer oder von einem vom Generalvikariat delegierten Geistlichen geführt werden und es durften nur solche Leute teilnehmen, bei denen die „häuslichen Verhältnisse und die Unbescholtenheit des Rufes“ eine nützliche Teilnahme gewährleisteten. Die Pilger waren in genauen Listen zu erfassen, jedem Anführer einer Prozession war ein Pass auszustellen. Eine ähnliche Verfügung erließ der Oberpräsident der Provinz Niederrhein. Die hier aufgeführten weltlichen und kirchlichen Verfügungen waren für die Kevelaerwallfahrt von weitreichender Bedeutung. Dass hier eine dem Gegenstand unangemessene Atmosphäre der Überwachung entstand, liegt auf der Hand. Nichtsdestoweniger suchten die Pilger den mannigfachen, in den Akten bezeugten Kontrollen und Schikanen dadurch zu entgehen, dass man sozusagen inoffiziell und privat nach Kevelaer zog und zumindest nach außen, vor allem beim Durchgang durch Ortschaften, jedes Anzeichen und Merkmal einer offiziellen Prozession zu verbergen trachtete. So ging man in aufgelockerter Form durch Ortschaften oder mied diese unter Benutzung von Feldwegen ganz, hielt dabei die Prozessionsinsignien wie etwa Fahnen versteckt und enthielt sich streckenweise jeden lauten Gebetes und Gesanges. Angesichts dieser Umstände und Widrigkeiten geriet die Kevelaerwallfahrt in arge Mitleidenschaft. Überschaut man die zum jährlichen Pilgeraufkommen vorliegenden Zeugnisse, so lässt sich vor allem für den Zeitraum der zweiten Hälfte der 20er und für die 30er Jahre des 19. Jahrhunderts ein beachtlicher Rückgang der Prozessionen feststellen. Sie bewegten sich in den anderthalb Jahrzehnten von 1825 bis 1840 teilweise weit unter 200 und erreichten 1831 mit 88 Prozessionen einen gewissen Tiefstand. Ihre Anzahl stieg erst ab 1838 wieder stärker an.

Die Anfänge der Byfanger Fußwallfahrt

In dieser Zeit, wo kaum Prozessionen durchgeführt wurden und wenn überhaupt, dann nur unter strengen Auflagen, begann 1837 die erste Byfanger Fußwallfahrt nach Kevelaer. Vermutlich war die Werdener Fußprozession für eine geheime Wallfahrt zu groß, so dass sich die Byfanger im Jahr 1837 erstmals eigenständig auf den Weg nach Kevelaer machten. Fest steht jedoch auch, dass die Byfanger bereits vor dem Jahr 1837 mit der Werdener Fußprozession nach Kevelaer pilgerten. Acht Bewohner Byfangs bildeten 1837 unter der Leitung von Herrn Nocke, den Anfang der Fußprozession der Bewohner der Bauernschaft Byfang, das damals zur Pfarrgemeinde St. Mauritius, Niederwenigern, gehörte. In Niederwenigern stand damals die einzige Kirche auf der Ruhrhalbinsel. Die ersten Kirchen auf dem heutigen Pfarrgebiet St. Josef, Essen Ruhrhalbinsel wurden fast 30 Jahre nach der 1. Byfanger Fußprozession in den 70-iger Jahren des 19. Jahrhunderts gebaut. (1873 Maria Heimsuchung, Überruhr, 1876 St. Maria Geburt, Dilldorf, 1879 St. Georg, Heisingen).

Altes Byfanger Wallfahrtsgedicht „Die Byfanger Wallfahrt nach Kevelaer“

Byfangs früh’re Heiden-Horden, wie Sankt Lugers Wort uns lehrt, sind zu Christen doch geworden, die verschmäht gar lang den Wert.

Endlich häf so bygefangen rief Ludger begeistert aus. So entstand mit Angst und Bangen Byfangs Nam’ im Zeitengraus.

Sühne für das Widerstreben gegen Wahrheit – Christentum, zeigt nun Byfangs Geistesleben auf der Wallfahrt grad und krumm.

Sühnt alljährlich, was verschuldet, einst die Väter alter Zeit, zieht nach Kevelaer und huldet Ehr der Gottesmutter weit.

Stärkung fand man in dem Blinden Weidenbach, der sehend ward; ließ die Waller Wege finden auf der weiten Pilgerfahrt.

Eine Wundererzählung und ihre Folgen

Was einmal mit einer Handvoll gläubiger Christen begann, erwies sich im Laufe der Jahrzehnte als ein religiöser Magnet. Lag die Teilnehmerzahl bis 1874 noch unter 100 Personen, so waren es später über 200 Christen, die sich der Mühsal der fünftägigen Wallfahrt unterzogen. Nicht ohne Einfluss auf diese Entwicklung wird dabei sicherlich die Heilung des Johann Weidenbach gewesen sein in den frühen fünfziger Jahren des vorletzten Jahrhunderts. Nach der Überlieferung soll Johann Weidenbach durch einen Blitzschlag – ein anderer Chronist spricht vom Grauen Star – sein Augenlicht verloren haben. Was sich daraufhin zu einem, leider nicht mehr datierbaren Zeitpunkt, ereignete, gibt Herr Neurath in einem Schriftstück „über die Entstehung der Byfanger – Fußprozession“ aus dem Jahre 1907 wieder:

„Nun geschah es eines Jahres, als er (Johann Weidenbach) mit seinen Pilgergenossen von Kevelaer zurück kam, nach welchem er sich mit größtem Vertrauen auf die Hilfe der Gottesmutter begab, als er etwa bis auf die Hälfte des Weges gekommen war, dass es ihm wie Schuppen plötzlich von den Augen fiel; und er allein ohne Vormann gehen konnte.“

Durch dieses „Wunder“ wurde auch die Aufmerksamkeit anderer Pfarreien der Ruhrhalbinsel auf die Byfanger-Fußprozession gelenkt.

Fußwallfahrt Byfang-Kevelaer – eine ungebrochene Tradition. Schwierigkeiten – Probleme – Lösungen:

So unwahrscheinlich es auf den ersten Blick erscheinen mag – in den vielen Jahren ab 1837 fiel die Fußwallfahrt zur Verehrung Mariens in Kevelaer nur zwei Mal aus! Trotz politischer Widerstände in der Zeit des Kulturkampfes! Trotz zweier Weltkriege! Trotz der Unterdrückung durch die Nationalsozialisten!

Freilich lief dies alles nicht reibungslos und selbstverständlich ab. So musste etwa, der bereits vorgestellte Prozessionsleiter, Herr Weidenbach, sich als Vertreter der „Laienvereinigung Byfanger-Fußprozession“ während des anti-katholischen Kulturkampfes (1871-1878) beim Oberlandgericht Hamm stellen, um eine Anzeige „wegen unerlaubten Prozessierens“ aus dem Weg zu räumen. In Hamm wurde die Prozession als „alt hergebracht“ anerkannt. In dieser Zeit wurden im Regierungsbezirk Düsseldorf nur noch Prozessionen erlaubt, die nachweislich bereits bei Erlass des preußischen Vereinsgesetzes von 1850 als „althergebracht“ galten, seitdem nicht außer Übung gekommen waren und im einzelnen wie von altersher durchgeführt wurden. 

Während des Ruhrkampfes (1923, Besetzung des Ruhrgebietes durch die Franzosen im Zuge der Reparationsforderungen) war es nur den Herren Ridder und Elvenholl, die sich zum obersten französischen Besatzungsoffizier begaben, zu verdanken, dass für die Byfanger die Prozession zur Gottesmutter in Kevelaer fortgesetzt werden konnte.

Ein Jahrzehnt später erforderte das „Tausendjährige Reich“ des NS-Regimes neue Anstrengungen, um die Prozession zu erhalten. In der Voraussicht, dass die national-sozialistische Religionsfeindlichkeit und ihre Gleichschaltungs-politik auch die religiösen Laienvereinigungen unterdrücken würden, wurde die „Freie Laienbewegung Byfanger-Fußprozession“ auf Antrag des Pfarrers Schümmelfeder, Niederwenigern, sowie der Wallfahrtsführer Fritz Elvenholl und Josef Weiß, durch den Erzbischof von Paderborn, Dr. Caspar Klein, in eine kirchliche Bruderschaft umgewandelt. Die neue Satzung gab der Vereinigung den Namen „Bruderschaft Mariens, der Trösterin der Betrübten“, die stetigen Mitarbeiter hießen bis zum Anfang dieses Jahrhunderts noch „Brudermeister“.  Bald darauf verbot die Geheime Staatspolizei die christlichen Laienvereinigungen und ihre Aktivitäten.

Im Jahr 1952 musste die Fußprozession wegen der drohenden Polio-Epidemie (Kinderlähmung) zum ersten Mal ausfallen. An Kinderlähmung erkrankten in Deutschland 1952 insgesamt 9.706 Menschen, davon starben 776.

Ein Gesichtspunkt, der heutzutage nicht genügend gewürdigt wird, liegt in der sozialen Lage der Arbeiter des 19. Jahrhunderts. Fünf Tage Wallfahrt bedeuteten vier Tage Lohnausfall, da Urlaub mit Lohnfortzahlung damals als Utopie galt. Dass trotzdem gepilgert wurde, ist ein Zeichen für die Frömmigkeit dieser Menschen, die sich ihr Brot meist als Bergleute unter Tage verdienen mussten.

Der Verlauf der Byfanger Fußprozession:

Der Begriff „Wallfahrt“ wird heutzutage häufig gleichgesetzt mit den Massenangeboten populärer Wallfahrtsorte, wie Rom, Lourdes, Santiago des Compostella, Bethlehem oder Jerusalem. Alles bequem zu erreichen, mit klimatisierten Bussen, Bahnen oder der Touristik-Klasse der Jumbo-Jets. Die Marienwallfahrt jedoch ist für die Kevelaer Wallfahrtsgemeinschaft eine Pilgerschaft zu Fuß, fünftägig, sie findet statt bei Wind und Wetter! In der Regel wurde der Zeitpunkt der Prozession so gewählt, dass sich die Pilger um den 15. August – das Fest der Aufnahme Mariens in den Himmel – auf der Wallfahrt befanden.

Anfangs begann der Fußweg in Byfang. Bis 1863 gab es noch keine Ruhrbrücke zwischen Kupferdreh und Steele. 1863 wurde die Steeler Eisenbahnbrücke gebaut, 1886 wurde die erste Straßenbrücke (heute Kurt-Schumacher-Brücke) und 1895 die Kampmannsbrücke gebaut. Also mussten die Pilger in den ersten 50 Jahren mit der Fähre an der Roten Mühle die Ruhr überqueren.

Die Prozession wanderte anfangs über Hauptverkehrsstraßen. Anfang der fünfziger Jahre wurde der Autoverkehr immer stärker, so dass die Prozession auseinandergerissen oder fast aufgerieben wurde. Eine erste Lösung schien die Benutzung der Straßenbahn zu sein. Schließlich haben einige Brudermeister neue und ruhigere Wege ausfindig gemacht, die die Prozession noch heute benutzt. Zu den Männern zählt Heinrich Köther, der im Jubiläumsjahr 1987 zum fünfzigsten Mal nach Kevelaer pilgerte. Seine Tochter Monika Berger war bis 2014 im Vorstand der Wallfahrtsgemeinschaft und ist mehr als 60 Mal zu Fuß nach Kevelaer gepilgert. Seit jeher beteiligen sich Frintroper an der Byfanger Prozession und stellen ein beachtliches Kontingent an Pilgern. Das Wallfahrtskreuz in Oberfrintrop (Ecke Heilstraße und Frintroper Straße) erinnert an diese alte Tradition.